Gamification als Motivationsdesign zur Bindung und Förderung von Mitarbeitern

Roman Rackwitz

Roman Rackwitz

Diese Woche fand wieder ein sehr interessanter Abend im Rahmen von Management Meetings in Hamburg statt. Thema war „Gamification“. Referenten waren Tim Ackermann und Roman Rackwitz. Roman ist Gamification Evangelist und hat die Gabe, die komplexen Sachverhalte dazu einfach darzustellen. Er sprüht geradezu vor Begeisterung, wenn er über dieses Thema redet, was durchaus ansteckend ist. Zudem hat er Engaginglab gegründet, ein „Labor“ für Motivationsdesign. Das ist nämlich genau, was sich hinter dem Buzzword „Gamification“ verbirgt. Ich habe nach Roman’s Vortrag Gelegenheit gehabt, mit ihm zu sprechen.

SEUBERT HR: Roman, ich bin noch ganz im Bann Deines Vortrages und total begeistert von den Einsatzmöglichkeiten von „Gamification“. Es wäre toll, wenn Du nochmal für die Leser dieses Blogs die Begrifflichkeit erläutern könntest. Wozu dient Gamification? Was soll erreicht werden?

Roman Rackwitz: Hehe…das freut mich natürlich.

Gamification steht für zwei Dinge. Erstens ist das die Anerkennung der Tatsache, dass es bestimmte Situationen gibt, in denen der Mensch einen unglaublichen Zustand der Fokussierung, Kreativität, Effektivität, Kollaborationsbereitschaft etc. erreicht und gleichzeitig fähig ist, dies über einen überraschend langen Zeitraum aufrechtzuerhalten und zwar völlig freiwillig. Der Zustand, von dem ich hier rede (übrigens auch „Flow“ genannt) stellt sich meistens in Verbindung mit unseren Hobbies, beim Sport, und auch beim Spielen ein.

Zweitens steht Gamification dafür, dass es erstrebenswert ist herauszufinden, warum diese Situationen für uns Menschen so erfüllend und zufriedenstellend sind, um gegebenenfalls weniger ‘fesselnde’ Aktivitäten zu bereichern. Ich glaube nicht daran, dass Eintönigkeit und Langeweile einfach so hingenommen werden müssen. Jedenfalls nicht immer. Gamification, so wie ich es sehe, hat die Aufgabe diese ‘kleinsten gemeinsamen Nenner’ solch engagierender, fesselnder, attraktiver Situationen zu finden und diese ‘greifbar’ und anwendbar zu machen.

Um es mal etwas plastischer und emotionaler auszudrücken: In einem spielerischen Umfeld jagt der Mensch immer sein ‘Besseres Ich’. Der Mensch ist von Natur aus so entwickelt. Er möchte immer besser, smarter werden, usw. Das hat sich evolutionär als Erfolgsgeheimnis bewahrheitet. Hier gelingt es ihm am ehesten, auch sein vollstes motorisches und kognitives Potential zu entfalten. Ich bin davon überzeugt, dass wir dieses Potential auch wirklich benötigen für die Herausforderungen der Menschheit in den kommenden Jahrhunderten.

SEUBERT HR: Du hast im Vortrag sehr schön die Voraussetzungen aufgeführt und erklärt, die gegeben sein müssen, damit Gamification funktioniert. Welche waren das nochmal, ich meine 5 Punkte?

Roman Rackwitz: Es herrscht ein klares Missverständnis über das was wir glauben, was für Motivation bzw. Freude und Spaß bei Menschen sorgt. Im allgemeinen wird ja angenommen, dass Belohnungen, Incenitves, oder auch das Gewinnen selbst die treibende Kraft hinter freudigen Aufgaben ist. Dies ist jedoch, besonders wenn es sich um kognitive Aufgaben handelt, zum Großteil falsch. Natürlich nehmen wir diese Belohungen gerne an, keine Frage. Wir empfinden sie, in der Regel, aber nur als verdiente Anerkennung der eigenen Leistung. Eine langweilige oder sogar ätzende Arbeit, die erledigt werden muss, bleibt auch ätzend, wenn ich dafür belohnt werde. Ich akzeptiere es evtl. eher sie auszuführen, aber mehr Spaß macht sie deshalb noch lange nicht. Man sieht also, es muss darum gehen, den Prozess der Aufgabe selbst zu ändern. Das macht Gamification zu einem systemischen Ansatz.

Wir haben hier im Laufe der letzten Jahre einiges zusammengetragen und dabei haben sich die fünf, von dir angesprochenen, Rahmenbedingungen herauskristallisiert. Diese sind gleichzeitig der bereits angesprochene ‘kleinste gemeinsame Nenner’, den fast alle Situationen, in denen wir Freude an der Sache selbst (u.a. Sport, Hobbies, Spiele) empfinden, gemeinsam haben:

  1. Informationstransparenz
  2. (Echtzeit)Feedback
  3. Klare Ziele und Regeln
  4. Entscheidungsfreiheit
  5. Herausforderung

Zusätzlich empfinden die beteiligten Personen die jeweilige Situation meist als

  • abhängig von der eigenen Kompetenz
  • sinn- bzw. zweckstiftend
  • Verbundenheit/im Kontext mit anderen Personen

Wenn man sich die eben genannten Punkte einmal ansieht, dann merkt man, dass z.B. die Spieleindustrie es geschafft hat, ein ‘Produkt’ zu entwickeln, das es erlaubt, diese fünf Rahmenbedingungen in Perfektion zu nutzen. Der Begriff Gamification ist für mich daher auch eine Hommage an diese Leistung. Aber erfunden hat sie diese natürlich nicht. Da ist der Begriff leider manchmal irreführend. Immerhin bauen wir hier auf Prinzipien, die bereits seit dem Bestehen unserer Spezies ihre Gültigkeit haben.

SEUBERT HR: Wie Du im Vortrag erwähnt hast, sind diese 5 Punkte immer zu prüfen, wenn jemand sagt, er setze „Gamification“ ein. Oft sind es doch nur klassische Belohnungssysteme… Hier der Verweis auf eine Deiner Präsentationen, in der diese Rahmenbedingungen erläutert werden.

Ein essentieller Aspekt, der sehr deutlich wurde war, dass Gamification nicht dazu dient, spielerisch die Konkurrenz unter den Teilnehmern anzuheizen, sondern dazu die „Collaboration“, die Zusammenarbeit zu fokussieren. Ein System, das auf guter Zusammenarbeit aufbaut ist – man muss es sehr klar sagen – viel effektiver als ein System, das sich auf Konkurrenzgebaren stüzt. Man denke einfach nur an den Begriff „collective intelligence“. Du hast das im Vortrag auch sehr gut auf den Punkt gebracht…

Roman Rackwitz: Richtig. Der Glaube, dass der Mensch von Natur aus solch eine egoistische und wettbewerbsgetriebene Spezies sei, ist ein Mythos, der sich hartknäckig hält. Man darf nicht dem Irrtum unterliegen, die kompetitiven Rahmenbedingungen in Unternehmen seien geschaffen worden, weil der Mensch so tickt. Nein, der Mensch verhält sich kompetitiv, weil die Rahmenbedingungen dies fördern oder sogar verlangen. Es heißt doch so schön: „Don’t blame the gamer, blame the game“. Natürlich passt der Mensch sich an bestehende Bedingungen und Regeln an. Das ist einfach rational gesehen vernünftig, bedeutet aber nicht, dass dies auch der ‘Natur des Menschen’ entspricht. Es ist doch irgendwie paradox, dass wir Unternehmen gründen, damit wie gemeinsam ein Problem des Marktes bzw. einer bestimmten Zielgruppe lösen und dann Regeln und Policies einführen, die eben diese kollaborative Ausgangslage wieder boykottieren. Und dies aus der falschen Annahme heraus, dass der Mensch immer den Wettbewerb sucht. Hier weiß die Wissenschaft längst etwas, das die Industrie nach wie vor ignoriert.

Unser körpereigenes chemisches System, und somit die Steuerung unseres Gehirns und dessen Vorlieben, sind sehr auf soziales Verhalten eingestellt. Wenn eine Person, der wir geholfen haben, etwas Außergewöhnliches erreicht, wird unter anderem eine ungeheure Menge an Oxytocin im Gehirn freigesetzt, was zu Glücksgefühlen führt. Da man dieses Gefühl mit jemandem anderen teilt, entsteht Verbundenheit und der Mensch empfindet oftmals eine größere Befriedigung, als wenn er alleine erfolgreich ist. Es gibt hierfür einen jüdischen Begriff, der dies sehr gut beschreibt: ‘Naches’. Das bedeutet übersetzt soviel wie „elterlicher Stolz“. Jeder von uns kennt dieses Hochgefühl, ob in Zusammenhang mit den eigenen Kindern, Freunden oder Kollegen.

SEUBERT HR: Besonders spannend fand ich das letzte Beispiel, das Du gebracht hast aus einem Unternehmen, ohne Hierarchien. Dort habt Ihr auf Basis der wichtigsten Unternehmenswerte ein System designed, das letztlich alle klassischen „Career Rewards“ wie Beförderungen in die nächste Karrierestufe oder Boni, ersetzt hat. Kannst Du das nochmal darstellen?

Roman Rackwitz: Klar. Im Großen und Ganzen wird hier nun „Karriere“ nicht mehr an einzelnen Titeln, usw. festgemacht, sondern anhand von Kompetenzkategorien. Aus den vorhandenen Unternehmenswerten und natürlich den vorhandenen Tätigkeitsfeldern, werden Kompetenzkategorien entwickelt. Dies können übergeordnete Kategorien sein wie z.B. innovativ, kundenorientiert, kollaborativ, nachhaltig oder andere, aber auch auf die operative Ebene heruntergebrochene Kompetenzen wie Softwarekompetenz (SAP, CRM, Excel,…), Maschinenkompetenz, Produktkompetenz, Servicekompetenz, usw. Hier lassen sich oftmals hunderte Ansatzpunkte finden. Interessant hierbei ist meistens, dass sich die Mitarbeiter, aber auch die Unternehmen selbst nie so richtig im Klaren darüber waren, welche Kompetenzen nun wirklich vorhanden sind und deren Einfluss auf das operative und strategische Geschäft.

In dem wir nun, meistens mit Hilfe von Software in Form von Dashboards, diese Kompetenzen sichtbar machen und durch die Verknüpfung eben dieser mit täglichen operativen Aufgaben, auch greifbarer und quantifizierbar werden lassen, erleben die Mitarbeiter hier einen völlig neuen und vor allem auch individuellen ‘Raum’ in dem sie sich weiterentwickeln können. Die Einführung solcher Kompetenzgruppen, im Kontext der oben genannten fünf Rahmenbedingungen, ermöglicht es gegebenenfalls ein Umfeld zu gestalten, dass für die beteiligten Personen als viel erfüllender und, am Ende des Tages, auch als zufriedenstellender angesehen wird.

In solch einem Kontext agierend beginnt nun nämlich unser Gehirn sein ganz eigenes ‘Spiel’. Je nach individuellen Fähigkeiten und dem operativen Einsatzgebiet, werden Kompetenzkategorien miteinander verglichen und bei Gefallen als persönliche Ziele gesetzt. Durch die Quantifizierbarkeit dieser (ein wichtiger Punkt, den wir bei der Umsetzung der Gamificationkonzepte immer angehen) erhalten die Mitarbeiter nun auch so etwas wie einen einsehbaren ‘Fahrplan’ und möglichst individuelles Feedback erlaubt es, die eigene Performance, im Sinne der selbstgesetzten Ziele, zu bewerten. Wie im klassischen Spiel bei einem Blick auf’s Spielbrett erhalten die Mitarbeiter sozusagen alle notwendigen Informationen, die sie zu bewussten Entscheidungen befähigen.

Kompetenzkategorien bestehen natürlich aus mehreren Meilensteinen bzw. Stufen, die den Status und somit die persönlichen Skills der Person wiederspiegeln. Auch Beförderung, Anerkennung, Entlohnung kann direkt an die eigenen Leistungen gekoppelt werden. Mitarbeiter können erstmals wirklich ‘schwarz auf weiß’ sehen, was für Kompetenzen für das Unternehmen interessant sind, wo sie hier jeweils stehen und erkennen direkt mögliche Schritte zur Verbesserung. Mögliche Karrierefortschritte werden so vielfältiger und auch in leichter zu verstehende und nachzuvollziehende Schritte unterteilt. Mögliche Erfolge werden so zeitlich greifbarer.

Der zweitmeist genannteste Grund – weltweit – für Kündigungen lautet: “Ich komme hier irgendwie nicht weiter und muss woanders hin, um voranzukommen.” Genau hier setzt solch ein Ansatz an, in dem neue Möglichkeiten geboten werden, sich bewusst weiterzuentwickeln bzw. sogar bereits bestehende Möglichkeiten überhaupt erst in den Aufmerksamkeitshorizont der Mitarbeiter zu rücken.

SEUBERT HR: Das Konzept mit den Kompetenzkategorien gefällt mir! Genau das Richtige, um eine lernende Organisation zu entwickeln. Ganz besonderen Dank an Dich, für diese Ausführungen und vielleicht ergibt sich einmal ein gemeinsames Projekt. Ich wünsche Euch viel Erfolg und hoffe auf eine weitere Verbreitung von „Gamification“!

05. Juni 2015 von Volker Seubert
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